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Bernd Kibies
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Stand letzte Woche in "DIE ZEIT".
Stimmt es so? Vielleicht gibt es ähnliche Erfahrungen.
Grüße,
Bernd Kibies
Hau weg, die Häuser!
Von Georg Etscheit
Erst wurden viele Altbauten in Görlitz aufwendig saniert. Nun droht der sächsischen Stadt der Kahlschlag
Wäre die Revolution in der DDR nur ein paar Jahre später gekommen, Görlitz wäre wohl kaum noch zu retten gewesen. Doch nach der Wende strömte Geld aus dem Westen in die Stadt und nährte den denkmalpflegerischen Eifer. Heute nennt sich Görlitz wieder stolz die »Perle an der Neiße«. »In der ersten Dekade des Aufschwungs Ost wurde eine kaum vorstellbare Leistung vollbracht, um die historischen Bauten in fast allen ostdeutschen Städten zu sichern und wiederherzustellen«, sagt Jürg Sulzer, der eine Stiftungsprofessur für Stadtumbau an der Technischen Universität (TU) in Dresden innehat. »Doch jetzt droht uns auf den letzten hundert Metern die Puste auszugehen.«
Wie gefräßige Dinosaurier machen sich die Abrissbagger mit ihren stählernen Mäulern über die Stadt her. Nicht nur in Görlitz. In der Neißestadt fallen ihnen reich verzierte Gründerzeithäuser und denkmalgeschützte Siedlungsbauten aus den zwanziger und dreißiger Jahren zum Opfer. In Chemnitz und Leipzig erwischt es außer Gründerzeithäusern auch mal ein historisches Fabrikgebäude wie die Aktienbrauerei Gohlis. Und im sächsischen Freiberg soll eine kulturhistorisch wertvolle Gartenstadtsiedlung mit Appellplatz aus den dreißiger Jahren platt gemacht werden. »Ich fühle mich da lebhaft an den Abrisswahn der sechziger Jahre in der alten Bundesrepublik erinnert«, sagt Jürg Sulzer.
Der Wahnsinn hat durchaus Methode. Im Jahre 2002 hatte die rot-grüne Bundesregierung ein Programm für den »Stadtumbau Ost« aufgelegt, das auf die Abwanderung vieler Menschen aus dem Osten und den demografischen Wandel reagieren sollte. Dem dramatisch wachsenden Leerstand sollte durch planvollen »Rückbau« von Wohnungen in den Außenbezirken und »Aufwertungsmaßnahmen« in den Sanierungsgebieten begegnet werden.
Der Abriss hat Methode, der Bund zahlt mit
Dafür gibt es reichlich Geld aus der Staatskasse. Die kommunalen Immobiliengesellschaften, denen die meisten Wohnungen gehören, streichen je abgerissenen Quadratmeter 50 bis 60 Euro ein, zusätzlich werden pro Quadratmeter 70,65 Euro Altschulden aus DDR-Zeiten gelöscht. »Wenn man die billigste Firma mit dem Abriss beauftragt, bleibt unter dem Strich einiges über für die Gesellschaften«, sagt Andreas Vogel vom Verein Haus & Grund Görlitz, der Unterschriften gegen geplante Abrisse sammelt. Die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft Görlitz (WGB) überweist jedes Jahr einen Millionenbetrag an die Görlitzer Stadtkasse. So finanzieren sich überschuldete Kommunen durch die planmäßige Vernichtung der eigenen Bausubstanz.
Für Gerd Kolley, Geschäftsführer der WGB, ist Abriss ebenso wie Vermietung und Neubau ein ganz normales Geschäft. 7500 Wohnungen verwaltet die WBG. Seit 2002 wurden etwa 1000 Wohnungen durch Abriss »vom Markt genommen«, trotzdem stehen immer noch 1800 leer. Kolley gibt offen zu: »Ohne die Unterstützung durch die Förderung und den Altschuldenerlass würden wir die leer stehenden Häuser nicht abreißen können, sondern müssten sie stehen lassen.«
Dass es im Zweifel eher historisch wertvolle Bauten aus den Innenstädten trifft als Plattenbausiedlungen, daran tragen nicht nur die Wohnungsbaugesellschaften Schuld. Sie reagieren mit ihrer Abrisspolitik einfach auf die Nachfrage der ostdeutschen Mieter. Junge Familien seien zwar wieder daran interessiert, in der City zu wohnen. Doch die seien äußerst rar, sagt Kolley. Dagegen gebe es in den Siedlungen an der Peripherie eine stabile Mieterschaft. »Es ist sehr schwierig, denen zu erklären, dass ihr Haus bald abgerissen werden soll.« Eine Altbauwohnung erscheine vielen Menschen im Osten als zu groß und zu teuer, allein schon wegen der hohen Räume. »Heizen sie die mal!«
»Die Bewohner der Plattensiedlungen sind kaum zu bewegen, in die innenstadtnahen Gründerzeitquartiere zu ziehen«, bestätigt Lothar Hofner vom sächsischen Innenministerium. Achtzig Prozent des Leerstandes konzentrierten sich im Osten auf diese Viertel, um deren Wohnungen sich in Städten wie München die Leute reißen würden. »Die Zahl der rückzubauenden Häuser der Gründerzeit und der zwanziger Jahre wird zunehmen«, prophezeit Hofer.
»Eine Schweinerei hoch zehn« sei das, echauffiert sich Andreas Vogel. Der Görlitzer Denkmalschützer hat zwar vom Oberbürgermeister Redeverbot bekommen, was ihn aber nicht davon abhält, über eine »Vernichtung von Volksvermögen« zu schimpfen. Vogel kritisiert die »kurzfristige ökonomische Sichtweise« der kommunalen Wohnungsunternehmen. »Man muss doch nicht alles gleich zur Pflaume machen. Man könnte die Häuser doch einmotten und auf bessere Zeiten warten.« Auch Stadtforscher Sulzer rät zu Geduld. »Dächer sichern, Fenster zumauern und abwarten« lautet das Rezept des gebürtigen Schweizers. Städtebau erfordere einen langen Atem, bloß »in Deutschland muss immer alles hau ruck gehen«.
Nun gibt es auch Bürger, die zu retten versuchen, was zu retten ist. »Bei uns wird jetzt alles weggekloppt«, ärgert sich der Abrisskritiker Andreas Vogel. »Die lassen die Häuser sogar absichtlich verfallen, um einen Grund zu haben, sie wegzuhauen.« Ganz ohne Folgen bleiben der Proteste nicht. Der Bund hat die Rückbauprämie gesenkt. Außerdem wird nun bei der Bemessung der Prämie zwischen niedrigen und hohen Häusern unterschieden. Für Gebäude ab sieben Stockwerken, also den industriellen DDR-Wohnungsbau, gibt es mehr Geld als für ältere Häuser.
»Wir sind doch kein Freilichtmuseum«
Doch das Land Sachsen treibt den Kahlschlag unverdrossen voran. Für Bauten, die nach 1850 entstanden, sollen in Zukunft überhaupt keine Aufwertungsmittel aus dem Bundesprogramm zum Stadtumbau mehr gewährt werden – was den bereits sanierten Plattenbausiedlungen nicht schaden, aber viele Gründerzeitviertel dem Bagger ausliefern würde. Gerd Kolley von der Görlitzer Wohnungsbaugesellschaft findet das ganz richtig. Mit Blick auf die 1800 freien Wohnungen in Görlitz hält er den Rat, die Bausubstanz für bessere Zeiten zu sichern, für unrealistisch. »Leer stehende Häuser kosten Geld«, sagt er. Und: »Wir sind doch kein Freilichtmuseum.«
© DIE ZEIT, 03.01.2008 Nr. 02
Stimmt es so? Vielleicht gibt es ähnliche Erfahrungen.
Grüße,
Bernd Kibies
Hau weg, die Häuser!
Von Georg Etscheit
Erst wurden viele Altbauten in Görlitz aufwendig saniert. Nun droht der sächsischen Stadt der Kahlschlag
Wäre die Revolution in der DDR nur ein paar Jahre später gekommen, Görlitz wäre wohl kaum noch zu retten gewesen. Doch nach der Wende strömte Geld aus dem Westen in die Stadt und nährte den denkmalpflegerischen Eifer. Heute nennt sich Görlitz wieder stolz die »Perle an der Neiße«. »In der ersten Dekade des Aufschwungs Ost wurde eine kaum vorstellbare Leistung vollbracht, um die historischen Bauten in fast allen ostdeutschen Städten zu sichern und wiederherzustellen«, sagt Jürg Sulzer, der eine Stiftungsprofessur für Stadtumbau an der Technischen Universität (TU) in Dresden innehat. »Doch jetzt droht uns auf den letzten hundert Metern die Puste auszugehen.«
Wie gefräßige Dinosaurier machen sich die Abrissbagger mit ihren stählernen Mäulern über die Stadt her. Nicht nur in Görlitz. In der Neißestadt fallen ihnen reich verzierte Gründerzeithäuser und denkmalgeschützte Siedlungsbauten aus den zwanziger und dreißiger Jahren zum Opfer. In Chemnitz und Leipzig erwischt es außer Gründerzeithäusern auch mal ein historisches Fabrikgebäude wie die Aktienbrauerei Gohlis. Und im sächsischen Freiberg soll eine kulturhistorisch wertvolle Gartenstadtsiedlung mit Appellplatz aus den dreißiger Jahren platt gemacht werden. »Ich fühle mich da lebhaft an den Abrisswahn der sechziger Jahre in der alten Bundesrepublik erinnert«, sagt Jürg Sulzer.
Der Wahnsinn hat durchaus Methode. Im Jahre 2002 hatte die rot-grüne Bundesregierung ein Programm für den »Stadtumbau Ost« aufgelegt, das auf die Abwanderung vieler Menschen aus dem Osten und den demografischen Wandel reagieren sollte. Dem dramatisch wachsenden Leerstand sollte durch planvollen »Rückbau« von Wohnungen in den Außenbezirken und »Aufwertungsmaßnahmen« in den Sanierungsgebieten begegnet werden.
Der Abriss hat Methode, der Bund zahlt mit
Dafür gibt es reichlich Geld aus der Staatskasse. Die kommunalen Immobiliengesellschaften, denen die meisten Wohnungen gehören, streichen je abgerissenen Quadratmeter 50 bis 60 Euro ein, zusätzlich werden pro Quadratmeter 70,65 Euro Altschulden aus DDR-Zeiten gelöscht. »Wenn man die billigste Firma mit dem Abriss beauftragt, bleibt unter dem Strich einiges über für die Gesellschaften«, sagt Andreas Vogel vom Verein Haus & Grund Görlitz, der Unterschriften gegen geplante Abrisse sammelt. Die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft Görlitz (WGB) überweist jedes Jahr einen Millionenbetrag an die Görlitzer Stadtkasse. So finanzieren sich überschuldete Kommunen durch die planmäßige Vernichtung der eigenen Bausubstanz.
Für Gerd Kolley, Geschäftsführer der WGB, ist Abriss ebenso wie Vermietung und Neubau ein ganz normales Geschäft. 7500 Wohnungen verwaltet die WBG. Seit 2002 wurden etwa 1000 Wohnungen durch Abriss »vom Markt genommen«, trotzdem stehen immer noch 1800 leer. Kolley gibt offen zu: »Ohne die Unterstützung durch die Förderung und den Altschuldenerlass würden wir die leer stehenden Häuser nicht abreißen können, sondern müssten sie stehen lassen.«
Dass es im Zweifel eher historisch wertvolle Bauten aus den Innenstädten trifft als Plattenbausiedlungen, daran tragen nicht nur die Wohnungsbaugesellschaften Schuld. Sie reagieren mit ihrer Abrisspolitik einfach auf die Nachfrage der ostdeutschen Mieter. Junge Familien seien zwar wieder daran interessiert, in der City zu wohnen. Doch die seien äußerst rar, sagt Kolley. Dagegen gebe es in den Siedlungen an der Peripherie eine stabile Mieterschaft. »Es ist sehr schwierig, denen zu erklären, dass ihr Haus bald abgerissen werden soll.« Eine Altbauwohnung erscheine vielen Menschen im Osten als zu groß und zu teuer, allein schon wegen der hohen Räume. »Heizen sie die mal!«
»Die Bewohner der Plattensiedlungen sind kaum zu bewegen, in die innenstadtnahen Gründerzeitquartiere zu ziehen«, bestätigt Lothar Hofner vom sächsischen Innenministerium. Achtzig Prozent des Leerstandes konzentrierten sich im Osten auf diese Viertel, um deren Wohnungen sich in Städten wie München die Leute reißen würden. »Die Zahl der rückzubauenden Häuser der Gründerzeit und der zwanziger Jahre wird zunehmen«, prophezeit Hofer.
»Eine Schweinerei hoch zehn« sei das, echauffiert sich Andreas Vogel. Der Görlitzer Denkmalschützer hat zwar vom Oberbürgermeister Redeverbot bekommen, was ihn aber nicht davon abhält, über eine »Vernichtung von Volksvermögen« zu schimpfen. Vogel kritisiert die »kurzfristige ökonomische Sichtweise« der kommunalen Wohnungsunternehmen. »Man muss doch nicht alles gleich zur Pflaume machen. Man könnte die Häuser doch einmotten und auf bessere Zeiten warten.« Auch Stadtforscher Sulzer rät zu Geduld. »Dächer sichern, Fenster zumauern und abwarten« lautet das Rezept des gebürtigen Schweizers. Städtebau erfordere einen langen Atem, bloß »in Deutschland muss immer alles hau ruck gehen«.
Nun gibt es auch Bürger, die zu retten versuchen, was zu retten ist. »Bei uns wird jetzt alles weggekloppt«, ärgert sich der Abrisskritiker Andreas Vogel. »Die lassen die Häuser sogar absichtlich verfallen, um einen Grund zu haben, sie wegzuhauen.« Ganz ohne Folgen bleiben der Proteste nicht. Der Bund hat die Rückbauprämie gesenkt. Außerdem wird nun bei der Bemessung der Prämie zwischen niedrigen und hohen Häusern unterschieden. Für Gebäude ab sieben Stockwerken, also den industriellen DDR-Wohnungsbau, gibt es mehr Geld als für ältere Häuser.
»Wir sind doch kein Freilichtmuseum«
Doch das Land Sachsen treibt den Kahlschlag unverdrossen voran. Für Bauten, die nach 1850 entstanden, sollen in Zukunft überhaupt keine Aufwertungsmittel aus dem Bundesprogramm zum Stadtumbau mehr gewährt werden – was den bereits sanierten Plattenbausiedlungen nicht schaden, aber viele Gründerzeitviertel dem Bagger ausliefern würde. Gerd Kolley von der Görlitzer Wohnungsbaugesellschaft findet das ganz richtig. Mit Blick auf die 1800 freien Wohnungen in Görlitz hält er den Rat, die Bausubstanz für bessere Zeiten zu sichern, für unrealistisch. »Leer stehende Häuser kosten Geld«, sagt er. Und: »Wir sind doch kein Freilichtmuseum.«
© DIE ZEIT, 03.01.2008 Nr. 02